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2015 Umbauten / Renovationen, Anbauten / Erweiterungen, Aarau

Mehrfamilienhäuser Küttigerstrasse 2 - 6 und Aarestrasse 1

Vermittlung zwischen Alt und Neu

Zwischen 1940 und 1942 entstanden in Aarau auf der nördlichen Seite der Kettenbrücke die Mehrfamilienhäuser der Architekten Richner und Anliker. Bauherr der Wohnbauten mit den insgesamt 30 Wohnungen war Josef Atzli aus Olten, nach welchem die Häuser auch heute noch benannt werden. Auf der Ostseite befindet sich ein weiteres Wohnhaus derselben Architekten, welches zusammen mit den westlichen Häusern einen Hof bildet, und die Bebauung komplettiert.

Im Innern sind die Treppenhäuser mit den gefliesten Wänden, den liebevoll gestalteten Treppengeländern und den sorgfältig ausgeführten Schreinerarbeiten der Milchkästen erhalten geblieben und zeugen von einem, für damalige Zeiten hochwertigen Ausbaustandard.

Auf der Hofseite unterteilten kleine, auskragende Balkone, welche mit seitlichen Schotten an die Aussenwände verankert wurden, die Vertikale der Fassaden. Auf der gegenüberliegenden Seite der Hauszeile, nach Westen orientiert, dort wo sich ursprünglich die Vorgärten der Häuser befanden, wurde das Fassadenbild durch horizontale Balkonzeilen bestimmt.

Heute passieren hier über 20'000 Autos / Tag die Strasse. Die Vorgärten sind lange verschwunden, mussten diese beim Bau der ehemaligen Kettenbrücke (1949), der Verbreiterung der Strasse weichen.

Auf Grund einer Untersuchung, welche die Verwaltung in Auftrag gegeben hatte, wurde der Eigentümer mit der Tatsache konfrontiert, dass der statische Nachweis sämtlicher Balkone nicht mehr erbracht werden kann. Einzelne Balkone hatten sich bereits minimal gesenkt; die Sicherheit der Bewohner konnte nicht mehr gewährleistet werden. Eine Sanierung bzw. Erneuerung der Balkone drängte sich auf, wollte die Bauherrschaft aber unter keinen Umständen eine Reduktion der Balkonflächen in Kauf nehmen. In enger Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft und einem Bauingenieur suchten wir unter enormen Zeitdruck nach Lösungen für den Erhalt der Balkone. Das Anbringen von Stützen, welche für die Entlastung der Balkonen entlang der Küttigerstrasse dienen sollten, war nicht möglich, da sich die Strasse mit dem Trottoir im Besitz des Kantons befindet. Unter Abwägung weiterer möglicher Lösungen, verbunden mit der Betrachtung der Kostenfolgen, verzichtete die Bauherrschaft schlussendlich auf eine Sanierung. Sämtliche Balkone wurden stattdessen ausnahmslos zurückgebaut und durch neue ersetzt.

Die nach Westen, entlang der stark frequentierten Strasse, ursprünglich vorhandenen Balkone wurden durch sogenannte „französische Balkone“ ersetzt. Trotz reduzierten Flächen besteht für die Bewohner heute die Möglichkeit, durch das Öffnen der grosszügigen Fenstertüren nach aussen, vor die Fassade zu treten, sei es für den Genuss einer Zigarette oder den neugierigen Seitenblick zum Nachbarn.

Auf der Ostseite wurden die reduzierten Flächen der Westseite durch grosszügige Balkontürme kompensiert. Diese wurden als eigenständige Bauten mit vorfabrizierten Betonelementen konstruiert und in den Hof gestellt.

Auskragende Balkonplatten erlauben es den Benutzern, in ähnlicher Weise wie beim Besuch einer Oper in der Loge, von der geborgenen Nische in den öffentlichen Raum zu treten um einen neugierigen Blick in den Hof zu riskieren. Die Brüstungen sämtlicher Balkone sind mit ockerfarbig anodisierten Aluminiumfronen versehen.

Schlingpflanzen, welche sich an den vertikalen Stahlseilen aller sechs Balkontürmen in die Höhen winden, begrünen den Hof und bilden einen zusätzlichen Einblickschutz.

Im Zuge der Sanierung wurden sämtliche Fassaden zudem nach den Vorgaben des kantonalen Gebäudeprogramms gedämmt, verputzt und gestrichen. Der Sockel wurde mit einem 4 bis 6 mm Vollabrieb versehen, horizontale gezogen und zweifarbig gestrichen.

Die Holz-Jalousien wurden entfernt und durch Faltschiebeläden, welche bei geöffnetem Zustand aus den Leibungen ragen, ersetzt. Die bronzefarbig anodisierten Aluminium Fronten der Faltschiebeläden wurden mit einer feinen Perforierung versehen. Bei den Schlafzimmern lassen sich die Lochungen durch ein in den Laden integriertes Blech verschliessen.

Bei der Materielisierung von den von uns geplanten Eingriffen orientierten wir uns an weiteren Bauten der Architekten Richner und Anliker aus den 40-er Jahren. Das vertikale Trapezmotiv an den Betonelementen spiegelt die ursprünglichen Blechverkleidungen der Balkonbrüstungen wieder.

Die millimetergenaue Massarbeit der rationellen Sanierung war eine grosse bautechnische Herausforderung aller Beteiligten. Die alten Wände waren schief und krumm und teilweise um Zentimeter aus dem Lot geraten. Demgegenüber lieferte der moderne Stahl- und Betonbau industrielle Massarbeit. Zueinander konnte das nur finden, indem die Fassaden mit digitaler Technik vermessen und die Daten in die Programme der Planer übertragen wurde.

Aarau, 06. Februar 2022, Andreas Marti